TF MAPPING

Tunnel Oranienburger Damm 22


auch bekannt als: Thomas-Tunnel bzw. Rentner- oder Seniorentunnel
Richtung: von Glienicke/ Nordbahn (Brandenburg) nach Westberlin
Länge: ca. 32 m
Zeitraum: April / Mai 1962
Fluchthelfer: keine


Auf die open-streetmap - Karte wurden die
früheren Grundstücksgrenzen und Gebäude projiziert.
Das Haus der Familie Thomas ist rot markiert.
Wir können das auch

Wir können das auch, müsste sich das Ehepaar Thomas im Januar 1962 gedacht haben.
Auf einem naheliegenden Nachbargrundstück wollten sie gemeinsam mit 28 weiteren Menschen durch den so genannten Becker-Tunnel die DDR Richtung Westen verlassen. Das Ehepaar Thomas wurde aber zurückgewiesen, da die verantwortlichen Brüder Becker die Flucht zusammen mit dem Nachbarehepaar als zu riskant ansahen. Die Brüder fürchteten, dass „die alten Leute den körperlichen Anstrengungen nicht gewachsen wären.“ (1) Kaum 80 Zentimeter maß der 27 Meter lange Stollen, durch den Max Thomas, der zu diesem Zeitpunkt 81 Jahre war, zusammen mit seiner Ehefrau durchkriechen wollte.
Das Ehepaar Thomas gab nach der Abweisung der Brüder Becker nicht auf, sondern es grub einen eigenen Tunnel.
Ihr Haus lag an der Oranienburger Straße 22 (heute Oranienburger Chaussee) in Glienicke/Nordbahn, direkt in Grenznähe. Vier Monate nach dem Becker-Tunnel begannen am 20. April 1962 Max Thomas und fünf Männer Tunnelarbeiten aus dem Hühnerstall. Dieser Grabungsort war bedacht gewählt. Ursprünglich wollte Herr Thomas aus seinem Wohnzimmerboden einen Stollen graben, wo sich jedoch der Lehmboden als zu widerstandsfähig erwies. Um den perfekten Boden zu finden, pflanzte er eine kleine Tanne mehrmals um, bis er in der Nähe des Hühnerstalls auf Sandboden stieß. Innerhalb von 16 Tagen buddelten die zwischen 55 und 81 jährigen beteiligten Männer den 32 Meter langen Tunnel. So entstand die Tunnelbezeichnung: Rentner- oder Seniorentunnel. Bekannt ist dieser, weil er eine Höhe von 1,75 Meter und eine Breite von 80cm besaß - für damalige Tunnel äußerst geräumig. Die Männer arbeiteten täglich zehn bis 14 Stunden im Stollen. Die insgesamt 4000 Eimer Sand, die sie aus dem Tunnel hoben, verstauten sie auf einem etwa 25 Meter entfernten, ehemaligen Pferdestall. Dieser war zur Tarnung mit Stroh zugedeckt. Misstrauische Grenzpatrouillen verwickelte Max Thomas in ein Gespräch über verstopfte Abwasserleitungen im Haus. Er täuschte vor diese neu verlegen zu müssen. Sicherlich half gegen das Misstrauen auch, dass keiner ihm einen Tunnelbau zutraute.
Am Abend des 5. Mai 1962 konnten die Männer den Tunnelausstieg fertigstellen. Um den Ausstieg so bequem wie möglich zu machen, wurde das letzte Stück als Rampe angelegt. Alle zwölf Flüchtlinge erreichten vor Mitternacht West-Berliner Boden. Erst 13 Tage nach der Flucht wurde der Einstieg des Tunnels von DDR-Grenzsoldaten zugeschaufelt. Bei der vorherigen Inspektion stellten sie fest, dass „an diesem Objekt in einem längerem Zeitraum in Ruhe und mit großer Ausdauer gearbeitet wurde.“(2)

Abbildungen: Links, heutige Oranienburger Chaussee 22, wo das Haus der Familie Thomas stand. Rechts, Tunnelausgang auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Direkt auf der Straße verlief die deutsche Grenze. Tobias Schmidt, 2012

Heute ist an der Oranienburger Chaussee 22 nichts mehr von dem ehemaligen Tunnel zu erkennen. Das Wohnhaus wurde im Herbst 1963 im Zuge des Ausbaus der Grenzanlagen abgerissen. Nun befindet sich ein Supermarktparkplatz an der Stelle, wo am April 1962 das Ehepaar Thomas den Gegenbeweis antrat.

Anmerkungen:
(1)www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article892497/Die-spektakulaere-Flucht-durch-den-Rentnertunnel.html
(2) Arnold, Dietmar, Kellerhoff, Sven Felix: Die Fluchttunnel von Berlin. Berlin 2011. S. 61.

Quellen:
Fluchtziel: Berlin-Reinickendorf. Zur Geschichte der Teilung Berlins in der Zeit des Kalten Krieges. Heimatmuseum Reinickendorf. Berlin, 2009.
Arnold, Dietmar, Kellerhoff, Sven Felix: Die Fluchttunnel von Berlin. Berlin 2011.


Text: Christina Koch