TF MAPPING

Maria Nooke


Ein Gespräch mit Maria Nooke, Stellvertretende Direktorin der Stiftung Berliner Mauer – Über die Gedenkstätte Berliner Mauer, Flucht, Erinnerung und ihre Dokumentation

Dr. Maria Nooke, geboren 1958 in Forst/Lausitz, engagiert sich in der DDR ab 1985 in einer kirchlichen Friedens -und Umweltgruppe. Sie ist Mitherausgeberin des in der DDR illegal erschienenen Oppositionsblattes „Aufbruch“. Nach dem Fall der Mauer studiert sie Soziologie, Erziehungswissenschaften und Psychologie an de TU Berlin. Ihr Schwerpunkt liegt später auf Biografieforschung. Seit 2009 leitet sie die Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße. Im Rahmen Ihrer Tätigkeit in der Mauergedenkstätte führt sie unzählige Zeitzeugengespräche mit Flüchtlingen und Fluchthelfern.



Frau Nooke, welche sind ihre ersten Erinnerung an die Mauer? Wann wurden sie zum ersten mal mit dem Thema „Mauer“ konfrontiert?

Da war ich noch ganz klein. Ich habe da eine ganz intensive Erinnerung. In unsere Küche war ein Mann, der auf der Küchenbank saß und weinte. Und ich habe mich gefragt: „Warum weint der?“ Und dann habe ich irgendwann mitgekriegt, dass er von seiner Familie getrennt war, dass seine Frau und Kinder nicht mehr in meinem Heimatort waren. Und er wollte zu denen. Das ist meine erste Erinnerung. Ich weiß heute, dass dieser Mann im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Zwangskollektivierungsmaßnahmen inhaftiert war. Seine Frau ist in der Zeit mit den Kindern in den Westen gegangen. Er hat dann später, nachdem er entlassen worden war, einen Fluchtversuch in den Westen gewagt, ist aber geschnappt und wieder inhaftiert worden. Er ist dann erst Jahre später in den Westen übergesiedelt. Das ist meine erste Erinnerung an die Mauer, obwohl ich das damals alles nicht so bewusst erlebt habe.

Als ich 15 oder 16 war, habe ich „die Mauer“ dann viel bewusster erlebt. Ich war mit meiner Schwester in Berlin – allein – und wir sind dann die Straße „Unter die Linden“ hinunter in Richtung Brandenburger Tor gelaufen, um uns mal die Mauer anzuschauen. Ab der sowjetischen Botschaft war plötzlich die Straße menschenleer. Wir wussten nicht so richtig: „Darf man hier denn noch weiter gehen?“ Und dann haben wir uns nicht getraut weiter zu gehen, weil uns das einfach zu unheimlich war.

Das richtige „Aha-Erlebnis“ hatte ich aber erst ‘86 als ich zu meiner Tante nach Westberlin fahren durfte und dann mit meiner Cousine am Potsdamer Platz auf so ‘ne Aussichtsplattform stieg. Der Moment, als ich da oben stand, war ein ziemlich schrecklicher Augenblick. Da habe ich plötzlich realisiert, wie dicht das beieinander ist. Das war für mich unfassbar, dass die Mauer da mitten durch die Stadt geht.

Das sind meine Berlin-Mauer-Assoziationen aus der frühen Zeit. Heute sind die natürlich durch die Arbeit in der Mauergedenkstätte anders. Das liegt an den vielen Zeitzeugengesprächen, die ich geführt habe, an den Archivrecherchen, also an dem Wissen, was man über die Jahre erwirbt. Die konkreten Geschichten der Leute machen das natürlich viel komplexer. Es ist nicht mehr nur das eigene Empfinden und Erleben.

Hat sich durch ihre Arbeit in der Mauergedenkstätte auch ihre persönliche Assoziation mit der Mauer geändert? Sind Ihre Assoziationen heute weniger von Emotionen besetzt als früher?

Natürlich ändert sich durch so einen professionellen Umgang mit dem Mauerthema die Sicht darauf. Das heißt aber nicht, dass Emotionalität keine Rolle mehr spielt. Natürlich habe ich nach wie vor meine eigenen Erfahrungen. Ich habe inzwischen sehr viel von anderen gehört. Diese Erfahrungen bringt man dann natürlich zusammen. Insofern gibt es auch eine Kontextualisierung der eigenen Erinnerungen. Aber ich empfinde nach wie vor noch den Schrecken der Mauer. Dieses Empfinden wird sogar durch Zeitzeugengespräche immer wieder ins Bewusstsein gerufen. Ich kann Ihnen hierzu ein Beispiel nennen. Heute Mittag habe ich eine Frau kennengelernt, die als Lehrerin die Mauergedenkstätte mit ihrer Schulklasse besuchte. Sie stand vor dem Fenster des Gedenkens und las den Namen ihrer Großmutter. In dem Augenblick war sie völlig geschockt, weil sie begriffen hat, dass ihre Großmutter bei einem Fluchtversuch ums Leben gekommen ist. Sie wusste bis zu dem Zeitpunkt nur, dass ihre Großmutter ertrunken ist, aber nicht, dass das bei einem Fluchtversuch passiert ist. Und da passiert natürlich jetzt etwas in der Familie dieser Frau. Sie wird sich bewusst, dass ihr ein Teil ihrer Familiengeschichte nicht zugänglich war. Und jetzt merkt sie, dass der Tod der Großmutter etwas mit der großen Ost-West-Geschichte zu tun hat.

So etwas erleben wir immer wieder mal. Insofern ist das Thema „Mauer“ nach wie vor ein mit Emotionen aufgeladenes Thema.

Glauben Sie, dass sich die Mauergeschichte emotional entlädt, wenn ihre Generation, die letzte Generation, die mit der Mauer durch direkte Erfahrung konfrontiert war, „ausstirbt“?

Ich glaube, dass sich etwas ändern wird, aber dass Emotionen immer auch eine Rolle spielen werden. Wir haben ja auch gerade bei der Gestaltung der Gedenkstätte darüber nachgedacht, wie wir emotionale Zugänge schaffen können, um die Geschichte zu vermitteln ohne zu überwältigen. Es geht nicht darum, die Leute mit Emotionen so zu konfrontieren, dass sie überhaupt nicht mehr denken können. Wir haben versucht sowohl emotionale als auch intellektuelle Zugänge zu schaffen, denn der Mensch ist eben sowohl ein emotionales als auch intellektuelles Wesen. Insofern glaube ich, dass sich etwas ändert, weil natürlich die Erlebnisgeneration ganz andere Erinnerungen und auch damit verknüpfte Emotionen hat. Aber auch in den Menschen der Folgegenerationen werden Emotionen ausgelöst, wenn sie sich mit der Mauergeschichte beschäftigen. Emotionen werden also immer eine Rolle spielen.

Uns als Zeitzeugeninterviewer ist natürlich eindringlich klar geworden, dass die Zeit um den Mauerbau von vielen als sehr dramatisch empfunden wurde. Gerade für Fluchthelfer und Flüchtlinge war das eine sehr harte Zeit, die ihnen heute noch sehr präsent ist. Andere Menschen fanden sich allerdings auch mit der Mauer ab und haben heute weniger negativ besetzte Erinnerungen bzw. Assoziationen mit der Mauer. Erinnerungen und Empfindungen derart werden in der Gedenkstätte kaum bzw. gar nicht dokumentiert. Fehlt diese Dokumentation auch, weil so die Darstellung der Mauer in ihren dramatischen Auswirkungen auf die Menschen gestört wäre? Hat man auf solche Geschichten – weniger dramatische Geschichten, Geschichten, in denen man sich mit der Mauer abfindet – beim Aufbau der Außenausstellung also bewusst verzichtet?

Das ganz sicherlich nicht. Unser Auftrag ist ja erstmal die Teilungsgeschichte zu dokumentieren und an die Opfer zu erinnern. Und insofern ist es auch unser Auftrag, die Auswirkungen der Teilungsgeschichte auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen in Ost und West darzustellen. Das Konzept der Außenausstellung beruht darauf, die Geschichte am historischen Ort zu erzählen – und zwar anhand der Spuren und Reste der Mauer sowie der Ereignisse, die an diesem Ort passiert sind. Alles, was wir draußen zeigen, ist an den Ort gebunden.

Die Dokumentation ist thematisch strukturiert. Es gibt Teile der Ausstellung zum Grenzsystem, zum Aufbau des Grenzsystems, dazu, wie das Grenzsystem organisiert war, aber auch dazu, wie sich das Grenzsystem auf die Leute speziell an diesem Ort ausgewirkt hat. Da hier niemand wohnen geblieben ist, der sich angepasst hat, kommen Geschichten der Anpassung an die Mauer in der Außenausstellung nicht vor. Aber natürlich wissen wir auch, dass es diese Geschichten gibt. Die DDR hätte ja nicht so lange funktioniert, wenn sich die Mehrheitsgesellschaft nicht angepasst hätte und versucht hätte in der DDR mehr oder weniger überzeugt zu leben. Das wird alles in der kontextualisierenden Ausstellung kommen, die wir jetzt vorbereiten und die im Dokumentationszentrum gezeigt werden wird. Wie „breit“ das gezeigt wird, kann ich heute noch nicht sagen. Aber auf alle Fälle geht’s auch um Sozialgeschichte. Dadurch wird die gesamte Alltagsproblematik mit einbezogen werden. Darin geht es auch um die Geschichte zwischen ‘61 und ‘89, die unterschiedlichen Entwicklungen – natürlich mit Schwerpunktsetzungen.

Die Repräsentation und Dokumention der Fluchttunnel in der Bernauer Straße nimmt im Vergleich zur gesamten Außenausstellung der Mauergedenktsätte sehr viel Raum ein. Wollte man dem Thema der Tunnelfluchten und Fluchten damit eine besondere Signifikanz einräumen?

Wir haben schon versucht dem Fluchtthema an diesem Ort seine besondere Bedeutung einzuräumen. Natürlich mit unterschiedlichen Darstellungsformen. Zum Beispiel gibt es die sogenannten Ereignismarken. Diese Ereignismarken dokumentieren im gesamtem Außenbereich ausgewählte Fluchtereignisse. – Es gibt über 400 gelungene Fluchten in den ersten zwei Jahren nach dem Mauerbau zu dokumentieren. Mithilfe der Ereignismarken wird also das wirklich extreme Fluchtaufkommen in der Bernauer Straße festgehalten. Das ist das eine.

Zum anderen gab es an diesem Ort – entlang einer Strecke von 1000 Metern – 11 Tunnelbauten. Das ist ja schon eine hohe Dichte. Das gibt es nur an verschiedenen Stellen in Kreuzberg/Neukölln nochmal. Dieser Besonderheit haben wir in der Mauergedenkstätte also versucht Rechnung zu tragen. Außerdem kam beim Tunnel 57 ein Grenzsoldat, Egon Schultz, ums Leben. Und insofern erzählen wir an einer Station die Geschichte dieses Tunnels, und zwar im Kontext der Fluchthilfe. Denn ansonsten könnte man das Thema Fluchthilfe an den Ort der Bernauer Straße nicht thematisieren. Fluchthilfe mit Autos haben wir nämlich in der Bernauer Straße nicht. Wir haben können zwar alle Themen aufgreifen, aber wir haben keinen Grenzübergang.

Wer war eigentlich der Auftraggeber für die Entstehung der Mauergedenkstätte? Wer hat darüber entschieden eine Gedenkstätte zu konzipieren, die speziell auch an den Ort der Bernauer Straße als Brennpunkt von Flucht und Fluchthilfe erinnert? Gab es Widerstände gegen den Bau der Gedenkstätte?

Die Mauergedenkstätte ist entstanden, weil es aus bürgerlichem Engagement ein paar Leute gab, die gesagt haben: „Man muss an dieses Thema in Berlin erinnern.“ Und das passierte schon 1990, als der Mauerabriss gerade begann. Das waren unterschiedliche Stimmen, die sich da erhoben haben – sowohl die von Leuten vor Ort, als auch Stimmen von Politikern. Willy Brandt beispielsweise ist ganz bekannt für seine Meinung, dass die Mauer nicht ganz verschwinden darf. Dadurch entstand die Mauergedenkstätte erst einmal aus bürgerlichen Engagement, mit Unterstützung des deutschen historischen Museums, das den Auftrag hatten irgendwo in Berlin einen Erinnerungsort zu sichern. Und das hat sich dann auf die Bernauer Straße konzentriert, weil die eben einfach von ihrer historischen Bedeutung so groß war. Man kannte halt die Bilder von der Bernauer Straße. Die Bernauer Straße war einfach ein Begriff.

Und das Denkmal ist dann erst nach vielen Auseinandersetzungen entstanden. Denn nachdem klar war, dass in der Bernauer Straße ein Ort entsteht, an dem auch ein Stück Mauer stehen bleiben soll, gab es von Seiten der Anwohner aus Ost und West heftigen Widerstand. Dann gab es einen Wettbewerb. Ergebnis des Wettbewerbs war das Denkmal, das wir heute auf dem ehemaligen Grenzstreifen noch sehen, was also nur 70 Meter umfasst und die Teile der ehemaligen Grenzanlagen sozusagen in dem Stand von 1989/1990 erhält. Und auch dann gab es wieder Konflikte. Die Kritik daran war, man kann es nicht verstehen – dieses Denkmal – weil man davor steht und sich fragt: „Na, was ist denn das?“ Und daraufhin wurde durch die Initiative des Senats ein Verein gegründet, der das Dokumentationszentrum aufbauen sollte. Der Senat hat also gesehen, dass etwas passieren muss und hat die Verantwortung an einen Verein übergeben. Und in diesem Verein wurde über die Konzeption nachgedacht. Es gab keinen Auftrag, in dem konkret bestimmt wurde, wie die Gedenkstätte von heute konzipiert werden soll. Das Konzept stammt wirklich von denen, die das damals engagiert betrieben haben und dann auch das Konzept seit ‘98 entwickelt haben. Die Idee war „Lernen am historischen Ort anhand der historischen Spuren und Ereignisse“, um so die Geschichte zu dokumentieren. Diese Idee hat sich fortgesetzt. Und seit 2009 gibt es jetzt die Stiftung „Berliner Mauer“, die jeweils hälftig vom Land Berlin und dem Bund getragen ist. Der Stiftungsauftrag heißt, die Teilungsgeschichte zu dokumentieren, die historischen Spuren zu bewahren und das Gedenken an die Opfer wach zu halten.

Stichwort „Opfer“. Es gab, wie ich in einem abgedruckten Interview mit Ihnen las, Kontroversen darüber, an wen man auf dem Fenster des Gedenkens erinnern sollte und an wen nicht. Es ging vor allem um die getöteten Grenzsoldaten. Wie bzw. wo wurde die Entscheidung darüber, welcher Mauertoten gedacht werden sollte, getroffen?

Das war wirklich ein sehr intensiver Diskussionsprozess mit sehr kontroversen Positionen. Aber die Entscheidung ist im Fachbeirat der Gedenkstätte gefallen, in dem ja wirklich unterschiedliche gesellschaftliche Gremien und Fachleute vertreten sind. Das war wirklich sehr kontrovers und ist mit Mehrheitsentscheidung entschieden worden. Es ging auch darum, ob die im Dienst getöteten Grenzsoldaten auch als Todesopfer mit auf das Fenster des Gedenkens kommen oder nicht. Da gab es unterschiedliche Positionen. In diesen Entscheidungsprozess sind aber auch Opferverbände einbezogen worden. Denn wenn Entscheidungen getroffen werden, die daraufhin einen großen „Sturm“ produzieren, dann kann das kontraproduktiv sein. Deshalb bemühen wir uns eigentlich auch immer, den Entscheidungsprozess auf eine breite Basis zu stellen, indem wir die unterschiedlichsten Gremien und Verbände mit einbeziehen, sodass es transparent ist und die Entscheidung bei uns nicht hinter verschlossener Tür getroffen wird.

Ist schon einmal ein großer Sturm nach Entscheidungen über konzeptionelle Entscheidungen bezüglich der Gedenkstätte ausgebrochen?

Ja, zum Beispiel als das Denkmal ‘98 eingeweiht wurde, gab es schon ziemlich viele Proteste insofern, als das Denkmal einfach nicht aussagekräftig und angemessen sei und dass man mithilfe des Denkmals den Schrecken der Mauer einfach nicht nachvollziehen könne. Und auch die ganze Entwicklung der Gedenkstätte ist ja in der Öffentlichkeit sehr kritisch begleitet worden. Wenn Sie mal Presserecherchen machen würden, dann würde Ihnen auffallen, dass es noch bis 2008 in der Presse die Behauptung gibt, dass die Bernauer Straße zu weit weg liegt, sodass diese nicht besucht wird. Diese Behauptung findet man heute nicht mehr. Letztes Jahr hatten wir 650 Tausend Besucher. Das hat sich sehr schnell geändert. Das ist auch eine Frage der öffentlichen Meinung, ob man dahin geht oder nicht, ob man das findet, ob man das will, ob es in der Öffentlichkeit auch positiv bewertet wird.

Haben Sie auch Statistiken darüber, wer die Mauergedenkstätte besucht?

Ja, klar!

Gibt es eine Statistik darüber, ob mehr Ost- oder Westdeutsche die Mauer besuchen?

Wir zählen die Besucher, die im Besucherzentrum und im Dokuzentrum sind, wirklich einzeln. Aber da wissen wir natürlich nicht, wer kommt. Deshalb machen wir jährlich drei bis vier Besucherbefragungen, die über 14 Tage gehen und die auch statistisch ausgewertet werden. Und da gibt es auch qualitative Befragungen, in denen man die Leute fragt, woher und weshalb sie kommen etc. Also das ist relativ kompliziert und differenziert. Wir kennen daher ungefähr die Altersstruktur und wissen auch ungefähr, woher die Leute kommen. Das ist also immer unterschiedlich. Es gibt Monate, wo die ausländischen Touristen überwiegen, aber auch welche, wo deutsche Besucher überwiegen. Insgesamt haben wir aber 50 Prozent ausländische und 50 Prozent deutsche Besucher.

Die Auswertung „Ost-West“ haben wir sehr bewusst gemacht, weil immer wieder von der Presse behauptet wird, weniger Ostdeutsche als Westdeutsche besuchten die Gedenkstätte. Diese Behauptung konnte allerdings nicht bestätig werden. Es stellte sich heraus, dass es relativ zu den Einwohnerzahlen der neuen und alten Bundesländer ungefähr genau so viele ostdeutsche wie westdeutsche Besucher gibt. Lediglich aus den Ländern Sachsen-Anhalt und Thüringen kommen relativ wenige Besucher. Das kann man sich aber auch ganz gut damit erklären, dass die Leute dort große Grenzmuseen haben und sich vermutlich vorzugsweise mit der ortsgebundenen Teilungsgeschichte befassen.

Mir ist gerade noch die folgende Frage eingefallen. Gab es Positionierungen ehemaliger „großer“ SED-Parteifunktionäre zur Mauergedenkstätte?

Nein, es gibt wohl gelegentlich Leute, die die Gedenkstätte in cognito besuchen. Von hohen Parteifunktionären haben wir noch keine Äußerung mitbekommen. Es gibt aber Äußerungen von relativ hochrangigen Grenzoffizieren, die auch heute noch organisiert sind. Es gibt so eine Arbeitsgruppe, die sich „GRH“ – „Gesellschaft für rechtliche und humanitäre Hilfe“ – nennt. Das ist eine Vereinigung von ehemaligen Funktionären, Stasileuten, Grenzern. Aber da gibt es dann hinsichtlich des Gedenkens an die Grenzer schon mal Positionierungen.

Welche?

Zum Beispiel haben die im letzten Jahr zum Tag der Grenztruppen, der in der DDR immer zum ersten Dezember stattfand, einen Kranz an der Stele für die Grenzer niedergelegt. Den haben wir entfernt und dazu eine Pressemitteilung gemacht. Wir haben mitgeteilt, dass wir uns nicht von anti-demokratischen Kräften instrumentalisieren lassen. Den Tag der Grenztruppen zu nutzen, um hier die Grenzer zu ehren, akzeptieren wir nicht. An dem Tag der Grenztruppen etwas hinzulegen ist einfach ein zu klares politisches Signal.

Gab es noch irgendwelche anderen Konflikte dahingehend?

Dahingehend nicht. Konflikte gibt es nur mit Anwohnern, die sich in ihren Rechten beschnitten fühlen, die meinen, dass ihnen abends das Licht zu lange an ist etc. Aber insgesamt haben wir ein positives Echo von den Anwohnern. Die nutzen die Gedenkstätte auch. Es gibt also nur wenige vereinzelte Konflikte – hauptsächlich Grundstücksfragen betreffend. Diese Fragen sind noch nicht alle geklärt. Wir befinden uns aber auf einem guten Weg.

Ich möchte jetzt noch einmal kurz auf die (Tunnel-)Flüchtlinge und Fluchthelfer zurückkommen, die sich heute an die Geschehnisse erinnern. Können Sie als Zeitzeugenexpertin, die schon mit vielen Fluchthelfern und Flüchtlingen im Gespräch war, erkennen, dass sich so etwas wie ein inoffizieller „Erinnerungsverband“ speziell der Fluchthelfer herauskristallisiert?

Ja, da gibt es eine Entwicklung. Die damaligen Fluchthelfer sind heute in Rente. Die Berufstätigkeit liegt hinter ihnen. Das ist einfach ein Alter, in dem man anfängt sich mit seiner Geschichte zu beschäftigen. Die Geschichte der Teilung wird von den Flüchtlingen und Fluchthelfern zudem als persönliche Lebensgeschichte besonders einscheidend empfunden. Bei vielen besteht also der Bedarf ihre Geschichte aufzuarbeiten.

Ungefähr mit der Jahrtausendwende hat es damit angefangen, dass verstärkt mediale Beträge zur Fluchthilfe gesendet wurden. Dann haben sich plötzlich Leute wiedergefunden. Die Vernetzung ist seitdem eindeutig stärker geworden. Es gibt z.B. seit 2004, als die Gedenktafel für Egon Schultz in der Strelitzer Straße auf Initiative der Fluchthelfer und einiger Flüchtlinge angebracht wurde, ein Treffen. Diese Fluchthelfer und Flüchtlinge treffen sich nun aller zwei Jahre. Es gibt inzwischen auch beim Berliner Unterwelten e.V. so eine Arbeitsgruppe „Tunnelfluchten“. Außerdem gibt es eine Vernetzung, bei der Burkhard Veigel sehr aktiv ist. Auch in der Gedenkstätte gibt es immer wieder Veranstaltungen, die sehr viele Leute besuchen. Auf unterschiedlichen Wegen lässt sich so schon eine Netzwerktätigkeit von ehemaligen Fluchthelfern und Flüchtlingen erkennen.

Maria Nooke interviewt von Markus Köhler Berlin, 29. August 2012